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Bürgerversicherung: Die Leitbilder der Zwangsmentalität

Schon in den ersten Tagen nach Bekanntgabe des Kompromisses zur Gesundheitsreform mehren sich die Stimmen, die eine Zwangsversicherung für alle fordern, die sogenannte Bürgerversicherung. Besonders interessant ist, daß diese Forderung aus nahezu allen Parteien zu hören ist, wenn auch mit Ausnahme der FDP, die den Vorschlag kategorisch ablehnt. Daß die traditionellen parteipolitischen Zankgrenzen hier nicht hervortreten, macht mißtrauisch. Wie kommt es plötzlich zu einer so großen Koalition?

Die bisherige Situation

Bislang werden alle Arbeitnehmer, deren Bruttoeinkommen unter der Beitragsbemessungsgrenze von derzeit 3.825 Euro im Monat liegen, zum Eintritt in die gesetzliche Krankenkasse gezwungen, die einen bestimmten Leistungskatalog anbietet, der zur Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit der Versicherungen beständig gekürzt und rationiert worden ist. Die derzeit aktuelle Gesundheitsreform ist nur der letzte Schritt in einer Vielzahl von Einschränkungsmaßnahmen, die schon in der Ära Schmidt begonnen haben und unter Kohl fortgesetzt wurden. Auch hier also parteiübergreifende Einigkeit...

Ansätze einer Fundamentalreform

Daß das derzeitige System nicht mehr reformfähig ist, haben inzwischen sogar die Politiker bemerkt. Daher werden unter dem Druck weiter steigender Beiträge und neuer Rationierungen inzwischen zwei Fundamentalreformmodelle diskutiert: Kopfpauschale und Bürgerversicherung. Die Kopfpauschale würde darin bestehen, daß jeder Mensch einen einkommensunabhängigen festen Betrag pro Monat in eine Zwangsorganisation zahlen müßte, dessen Höhe wiederum Gegenstand politischer Zankereien wäre; die Bürgerversicherung bestünde in einer offensichtlich einkommensabhängigen, also nicht für alle gleichen Zahlung, die aber im Rahmen einer Zwangsmitgliedschaft in der gesetzlichen Kasse für alle zustande käme. Hierbei sollen auch die Einkommen der Beamten und Freiberufler, die zur Mitgliedschaft gezwungen werden sollen, und sogar Nichtarbeitseinkünfte wie Zins- und Mieterträge in die Beitragsbemessungsgrundlage einbezogen werden.

Schwere Mängel beider Zwangsmodelle

Beide Reformmodelle leiden aber an grundsätzlichen Problemen: zunächst müßte man ja die bisherigen privaten Versicherungsverhältnisse in eine gesetzliche Zwangsversicherung überführen. Das käme einer Enteignung der privaten Versicherungen gleich, und wäre daher möglicherweise ein Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 GG. Zudem würde aber eine Zwangsmitgliedschaft aller in einer einheitlichen Versicherung endgültig den Wechsel in die Staatsmedizin bedeuten, und damit das Ende jedes Wettbewerbes. Wettbewerb ist aber ein konstitutives Element der freiheitlichen Ordnung, auf die man jedoch auch im Energiebereich schon jetzt keinen Wert mehr legt, so daß dies vielleicht für die derzeitigen Gesetzgeber kein ordnungspolitisches Magendrücken bewirken würde.

Kontinuität der Grundgedanken

Wir wollten aber untersuchen, weshalb es plötzlich zu einer so wahrlich ungewöhnlichen sozusagen maschendrahtzaunübergreifenden Einigkeit in der Politik gekommen ist, und das finden wir, wenn wir den bisherigen Zustand mit den angedachten Reformmodellen vergleichen: da finden wir nämlich den Zwang als gemeinsames Element aller jemals angedachten Modelle. Bisher werden die Arbeitnehmer zum Beitritt zu einer Kasse gezwungen, jetzt soll dieser Zwang auf alle ausgeweitet werden. Wir haben es daher nicht mit einer Fundamentalreform zu tun, wie uns die etablierten Medien immer wieder glauben machen wollen, sondern nur mit einer Erweiterung und Fortschreibung des Bestehenden, also mit einer Sackgasse, denn daß die bestehende Situation nicht mehr überlebensfähig ist, haben wir ja bereits bemerkt.

Nicht Versorgung und Absicherung der Kranken, sondern Beraubung der Gesunden

Ein auf Zwang basierendes Modell, und etwas anderes wurde offenbar noch nie in Deutschland debattiert, zeichnet sich durch Mangel an Eigenverantwortung, stets steigende Zwangsbeiträge und stets sinkende, d.h., gekürzte und rationierte Leistungen aus, wobei "Kürzung" eine Verweigerung von Leistungen für alle und "Rationierung" eine individuelle Kontingentierung von Leistungen darstellt - beides kennen Krankenversicherte zu Genüge. Da also alle auf ein einheitliches Zahlungs- und Leistungsmodell zwangsverpflichtet werden kann man schließen, daß das derzeitige System nicht der Versorgung der kranken, sondern der Beraubung der Gesunden dient, was Bert Rürup ja schon offiziell zugegeben hat indem er sagte, daß das derzeitige System ein Umverteilungsmodell sei. Aber ist Umverteilung in einer Gesellschaft mit über sieben Millionen Arbeitslosen noch zeitgemäß? Kann man die Armen reicher machen, indem man die Reichen ärmer macht?

Alternative Vorschläge

Nach unserer Auffassung müßte ein Katalog von Reformen das System grundsätzlich erneuern, d.h., das Zwangssystem als zentrales Paradigma müßte abgeschafft werden. Nur dann käme man zu einer wirklichen Fundamentalreform. Das würde zunächst die Abschaffung sämtlicher Versicherungspflichten und die Einführung einer Minimalversicherung nach US-Vorbild bedeuten, die steuerfinanziert wäre und jede lebende Person ohne Berechtigungsnachweis abdeckt, aber eben nur die Behandlung lebensbedrohlicher Erkrankungen finanziert. Systematische Begründung ist das Recht auf Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) und die daraus abgeleitete Fürsorgepflicht des Staates; finanzielle Begründung ist der absolut geringe Verwaltungsaufwand bei Fortfall aller Nachweispflichten. Alles darüber hinaus muß privat versichert werden dürfen, d.h., es wird niemand zum Glück einer Krankenversicherung gezwungen. Aber es sollte allen erlaubt sein.

Wettbewerb im Versicherungswesen

Die Zweiteilung in private und öffentliche Kassen ist widersinnig und nutzlos. Sie sollte aufgehoben werden, ebenso wie der Risikostrukturausgleich, der als planwirtschaftliches Korrektiv die derzeitige Misere wesentlich mitverschuldet hat. Versicherungen können also in die Insolvenz gehen, werden aber zur Absicherung ihrer Versicherten selbst zu einer Rückversicherung verpflichtet, die den Patienten bei Insolvenz seiner Versicherung auffängt. Um den Wettbewerb weiter anzuheizen, sollten alle Krankenversicherungen, die nunmehr rechtlich untereinander gleichstehen, einem Kontrahierungszwang unterliegen, also Kranke nicht ablehnen dürfen, so wie es derzeit möglich ist. Der Versicherte muß hingegen jederzeit die Möglichkeit haben, seine Versicherung zu wechseln. Hierbei darf ihm kein Nachteil infolge höherer Kosten durch höheres Beitrittsalter oder schlechterer Gesundheit entstehen. Will man eine Solidargemeinschaft, dann muß die Zahlbehandlungsversicherung des 20-Jährigen dasselbe kosten wie die des 80-jährigen, und die Vollversicherung des Diabetikers dasselbe wie die des jungen, gesunden Selbständigen. Aus dem gleichen Grund sollten individuelle Beitragsrückerstattungen verboten werden; eine kollektive Rückerstattung an alle Versicherten kommt durch den Markt zustande, solange die Struktur der Versicherungen polypolistisch bleibt, also Wettbewerb über Preis und Leistung betrieben wird.

Wettbewerb der Leistungserbringer

Hier wird empfohlen, das derzeitige Zwangspreissystem zu lockern und die bisherigen Werbeverbote für medizinische Berufe abzuschaffen. Zudem entsteht ein wirksamer Wettbewerb, indem ausländische Ärzte in Deutschland praktizieren dürfen (was durch den Maastricht-Vertrag ohnehin der Fall sein müßte), aber dabei keiner Kontingentierung durch die Kassen mehr unterliegen. Weiterhin sollte der Import kostengünstiger Medikamente aus dem Ausland völlig freigegeben werden, so daß auch die Apotheken untereinander in einen wirksamen Wettbewerb treten.

Rolle des Staates

Insgesamt sollte der Staat eine Nachtwächterrolle im Gesundheitswesen wahrnehmen, d.h., nur die Sicherheit und Qualität der Leistungsprozesse überwachen, aber nicht über Inhalt, Art und Kosten der Marktprozesse entscheiden. Seit Bismarck hatte der Staat genug Gelegenheit, seine Inkompetenz unter Beweis zu stellen, zuletzt durch die gegenwärtige Kürzungs- und Rationierungsrunde. Man sollte daher den Staat auf seine Fürsorgepflicht zurückstutzen, und das heißt, ihm lediglich die Sicherungsfunktion aber keinerlei Regelungsgewalt über den Wirtschaftsprozeß übertragen; allerdings wäre es u.U. erforderlich, daß der Staat die (derzeit zweifellos) polypolistische Struktur der Versicherungen durch eine wirklich wirksame Kartellkontrolle sicherstellt. Auf diese Art könnte eine Reform entstehen, die wirklich dauerhaft ist. Freilich würden die bisherigen Machtstrukturen im Gesundheitswesen aufgebrochen und viele Funktionäre verlören ihre gutbezahlten Posten - was aber zweifellos im Interesse der Patienten läge.

Kein Interesse am Liberalismus

Daß ein solches System nichtmal im Ansatz in der öffentlichen Diskussion auftaucht zeigt schlaglichtartig, wie wenig demokratische und freiheitliche Ideen in der obrigkeitshörigen deutschen Mentalität verwurzelt sind. Offensichtlich ist der starke Staat, der beraubt und umverteilt, noch immer das Leitbild - und das hat ja eine lange Tradition. Das läßt den Schluß zu, daß vergleichbare totalitäre Denk- und Handlungsmuster auch in anderen Politikbereichen aktiv sind, was im Bereich des sogenannten Umweltschutzes gut zu beobachten ist,. Bei dem es ja auch nicht um das Wohl der Pflanzen und Tiere, sondern um die Beraubung der Leistungsersteller der Gesellschaft geht. Es hat sich also nichts geändert in Deutschland, in den letzten 60 Jahren sowenig wie vorher in der Zeit seit Bismarck.

Links zum Thema

Gesundheitsreform: Kein Systemwechsel, Patient siecht weiter | Reform des Gesundheitswesens: eigene Vorschläge des BWL-Boten | Krankenversicherung: Deutsche Kassen zahlen für Eltern von Ausländern in deren Heimat | Die reale Zahl: 7,2 Millionen Arbeitslose? | Diskussionsbeitrag: Thesen gegen Rot-Grün (interne Links)


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