Im Gedenken an Harry Zingel (✟ 12. August 2009) ..... Alle Dokumente stehen ab sofort zum freien Download zur Verfügung (Redaktionsstand: letzte BWL CD 8/2009) .... Finanziert wird das Projekt via Google AdSense ... Achtung: Es erfolgt keine Aktualisierung der Inhalte ... Es besteht kein Recht auf Support in jeglicher Hinsicht ... Ich wünsche euch trotz alledem viel Erfolg mit der neuen alten BWL CD!!!

Der kostenlose Newsletter
der BWL CD
© Harry Zingel 2001-2009
BWL Mehr wissen,
mehr können,
mehr sein!
Startseite | Copyright | Rechtschreibung | Link mich! | Impressum | Blog

Grunderwerbsteuer: Wenn das Finanzamt nachkobert (und wie man das verhindert)

"Nachkobern" ist das Nachfassen von Prostituierten, die etwa für jedes abzulegende Kleidungsstück plötzlich noch etwas mehr Geld sehen wollen. Dieser Unsitte scheinen jetzt auf einmal auch die Finanzbeamten nachzugehen, doch ist hier nach Zahlung noch nichtmal ein Lusterlebnis zu erwarten. Was aber tut man, wenn das Finanzamt nachkobert?

Das Grunderwerbsteuergesetz (GrErwStG), das mit seinen gerade mal 23 Paragraphen noch zu den eindeutig übersichtlicheren Regelwerken im Steuerrecht gehört, gilt für Erwerbsvorgänge an Grundstücken (§1 GrErwStG). Was ein Grundstück ist, richtet sich dabei nach dem bürgerlichen Recht (§2 Abs. 1 Satz 1 GrErwStG), das bekanntlich eine Vielzahl von speziellen Vorschriften zu Grundstücken und grundstücksgleichen Rechten wie Nießbrauch oder Wegerechte kennt. Diese alle unterliegen damit auch der Grunderwerbsteuer i.H.v. derzeit 3,5 Prozent. Das aber bringt uns zu §95 Abs. 1 Satz 1 BGB.

"Zu den Bestandteilen eines Grundstücks", so lesen wir hier, "gehören solche Sachen nicht, die nur zu einem vorübergehenden Zweck mit dem Grund und Boden verbunden sind". Gebäude sind aber dauerhaft mit dem Grundstück verbunden - und damit Teil desselben. Das aber hat eine steuerliche Auswirkung: wer ein Grundstück mit Haus drauf kauft, zahlt auf den gesamten Preis Grunderwerbsteuer. Wer das Haus aber später bauen läßt, zahlt nur die Grunderwerbsteuer auf das Grundstück - ohne Haus, denn das stand ja zum Zeitpunkt des Grunderwerbes noch nicht. Und das haben die Finanzbeamten entdeckt.

Viele Baufirmen vermitteln nämlich Grundstücke an ihre Kunden, um nachher ein Haus zu errichten. Sie treten damit mindestens als Vermittler der Grundstücke auf. Das aber, so meint die Finanzverwaltung, sei ein kombinierter Erwerbsvorgang, so daß auch der Kaufpreis des Hauses grunderwerbsteuerpflichtig sei - und schon bei einem vergleichsweise simplen Einfamilienhaus macht das mehrere Tausend Euro aus, den einen Häuslebauer leicht in finanzielle Schieflage bringen können. Was kein Lusterlebnis ist.

Die Finanzämter verschicken derzeit offensichtlich Fragebögen an Häuslebauer, in denen versucht wird, durch geschickte Fragen ("Fangfragen") eine wirtschaftliche Beziehung zwischen Grundstückskauf und Bauvertrag zu konstruieren. Bei vielen Bauträgerverträgen, in denen alles aus einer Hand geboten wurde, dürfte dies auch erfolgreich sein - alle diese Eigenheimbesitzer werden also bald am eigenen Portemonnaie erleben, was eine Nachversteuerung ist. Wer die Chance dazu hat, d.h., in wessen Vertrag keine direkte Beziehung zwischen Grundstückskauf und Bauvertrag nachweisbar ist, sollte sich allerdings schnellstens mit seiner Baufirma absprechen, was auf diese Fragen zu antworten sei - und/oder sich gleich an einen Steuerberater wenden, denn wird ein Grundstück erworben und erst nach dem Datum des Kaufvertrages unter einem separaten Bauvertrag mit der Errichtung des Gebäudes begonnen, kann nicht nachgekobert werden. Und angesichts der Summen, um die es hier geht, ist das Beraterhonorar gut angelegtes Geld.

Aber auch wenn man den Nachversteuerungsbescheid schon in den Händen hält, gibt es noch Chancen: so liegt ja hier eine veränderte Sichtweise der Finanzverwaltung vor, die diese vermutlich als offensichtliche Unrichtigkeit (§129 AO) darstellen wird. Dann ist eine Neufestsetzung zuungunsten des Steuerpflichtigen leider möglich. Die oben dargestellten Zusammenhänge mit dem BGB sind aber nicht jedem so offensichtlich, so daß nur empfohlen werden kann, sich auf eigene steuerliche Unkenntnis - und auf §131 Abs. 1 AO zu berufen, denn der ursprüngliche Grunderwerbsteuerbescheid muß rechtmäßig gewesen sein - leicht nachweisbar, denn ohne Grunderwerbsteuerbescheinigung kein notarieller Kaufvertrag. Der Widerruf des bisherigen Verwaltungsaktes kann daher nach §131 Abs. 2 AO unzulässig sein, insofern kein Vorbehalt des Widerrufes im ursprünglichen Steuerbescheid stand, eine Auflage nicht erfüllt wurde oder der Steuerpflichtige steuerlich relevante Tatsachen verschwiegen hat, was aber beim Grunderwerb kaum möglich ist.

Doch die Sache weist über sich selbst hinaus. Ganz offensichtlich haben wir hier nicht nur einen Standortnachteil, nämlich ein politisches Risiko: woher soll ein Bauherr Planungssicherheit nehmen, wenn ihm plötzlich noch solche Überraschungen ins neugebaute Haus stehen? Schließlich kann die Nachversteuerung noch Jahre nach dem Einzug stattfinden. Die Posse zeigt aber auch, daß selbst mit einem Gesetz, das genausoviele Paragraphen hat wie Paul Kirchhofs übersichtlicher EStG-Entwurf, der Steuerpflichtige trefflich aufs Glatteis führen läßt. Der alte Spruch, daß weniger mehr ist, gewinnt so eine völlig neue Bedeutung - zu Ungunsten des Steuerpflichtigen. Wie immer.

Links zum Thema: Radikale EStG-Reform: Der Entwurf von Paul Kirchhof im Wortlaut | Steuertip: Volle Vorsteuererstattung beim Bau teilweise betrieblich genutzter Gebäude (interne Links)

Hinweise auf relevante Inhalte der BWL CD: [Lexikon]: "Grunderwerbsteuer", "Nachfeststellung", "Steuerarten". [Manuskripte]: "Steuerrecht.pdf".
Diese Hinweise beziehen sich auf die zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Artikels aktuelle Version der BWL CD. Nicht alle Inhalte und nicht alle Stichworte sind in älteren Fassungen enthalten. Den tagesaktuellen Stand ersehen Sie aus dem Inhaltsverzeichnis oder dem thematischen Verzeichnis.


© Harry Zingel 2001-2008
Im Gedenken an Harry Zingel, ✟ 12. August 2009
Zurück zur Hauptseite: http://www.bwl-bote.de