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Der olle Willi, oder was die IHK besser kann als eine Universität

Die Welt geistig zu durchdringen und den Menschen zu unbefangener eigener geistiger Bewertung der Welt zu befähigen ist seit Wilhelm von Humboldt das oberste Bildungsziel. Dies freilich sollte schon die Schule leisten, die dies freilich spätestens seit 1945 de facto nicht mehr leistet, denn am humboldtschen Bildungsideal ausgebildete Menschen wählten einst Hitler. Das ist letztlich der Anlaß für eine nicht endenwollende Bildungsmisere, aus der die Industrie- und Handelskammern derzeit als Sieger hervorzugehen scheinen.

Bildung vermittelt nämlich nicht nur Informationen, die auswendig gelernt werden, sondern bedeutungsvolle Informationen. Dies ist der Unterschied zwischen Informationsgesellschaft und dem Volk der Dichter und Denker: Wissen alleine ist nichts, erst die Fähigkeit zur Anwendung auf die Lebenswirklichkeit macht aus Informationen echte Bildung. Solcherart aber gewinnt der Mensch geistige Autonomie, und wird damit frei. Erziehung ist damit auch immer Befreiung aus (geistiger) Knechtschaft der Ideologien und ideologischen Rattenfänger. Das aber ist nicht mehr modern:

Will man nämlich nicht den mündigen und daher auch schwer zu regierenden Menschen, denn der derzeitige Öko-Flohzirkus läßt sich nur in einem ungebildeten Volk durchsetzen, so kann man Freude am Lernen und Sozialkompetenz als Alternativziele der Bildung benennen. Diese wurden von diversen Reformpädagogen gefordert und in einer hektischen Reihe von Bildungsreformen in den 1960er und 70er Jahren umgesetzt, wenn auch sehr mangelhaft. In dieser Phase der Bildungsgeschichte gingen Rechnen, Textverständnis und Schriftausdruck in Mengenlehre und Werbetexten unter, denn Deutsch, Mathematik, alte Sprachen, Musik und Kunst sind Fächer, die sich nach Wilhelm von Humboldt besonders eignen, den Menschen zu formen. Sie wurden daher zielgerichtet entmannt.

Aber auch die Universitäten sind kein Hort der klassischen Bildung mehr, und der Grund dafür liegt in der Eurosklerose und in Pisa. So fordert die OECD bekanntlich, den Akademikeranteil zu erhöhen, was man zu erreichen trachtet, indem man verschulte Kurzstudien mit Bachelor-Abschluß anstelle der bisherigen Diplomstudiengänge setzt. Dort ist zwar das Niveau viel niedriger als einst in einer mit dem Studium Generale beginnenden akademischen Fachausbildung, aber immerhin hat man mehr Akademiker vorzuweisen, jedenfalls auf dem Papier.

Natürlich ist der Verfall der Universitäten nicht unbemerkt geblieben, aber anstatt generell die Bildung zu verbessern, ruft man nach Kompetenzzentren, Exzellenzinitiativen und Elitebildung. Das mag an sich nicht falsch sein, ist aber kein geeignetes Mittel zur Behebung des allgemeinen Bildungsnotstandes, der im Grunde seit dem Zweiten Weltkrieg andauert, im Osten der Republik freilich aus anderen Gründen (und langsamer) als im Westen des Landes. Wenn man so weiter macht, dann gehen bald alle Schüler auf das Gymnasium, das aber nur noch den Stand der einstigen Hauptschule hat, und über das Schicksal der Universitäten wollen wir lieber den Mantel der christlichen Nächstenliebe decken.

Das aber hat auch noch einen anderen Grund, und der heißt Bologna. Unter dem sogenannten Bologna-Prozeß versucht man nämlich seit einiger Zeit eine europaweite Vereinheitlichung der akademischen Abschlüsse, was auch eine entsprechende Standardisierung bedeutet. Für Einzelleistungen der Lernenden werden jetzt Punkte in einer Art großem Kurssystem vergeben, was die inhaltliche Identität und fachliche Vergleichbarkeit von Seminaren und Prüfungen zwischen Sizilien und dem Nordkap voraussetzt, die aber natürlich nicht gegeben ist. Andernorts haben wir schon begründet, warum Kurssysteme in der Erwachsenenbildung nicht funktionieren; und Bologna funktioniert noch viel weniger - jedenfalls wenn die Studenten mobil sind, also die in der Wirtschaft so begehrten Auslandseinsätze absolvieren. Dann nämlich entsteht keine Ausbildung, sondern punktuelles Halbwissen.

Sind die Bildung des Menschen als Primärziel und Freude am Lernen und Sozialkompetenz endgültig verloren, bleiben noch die Ziele der liberalen Bildungstheoretiker, nämlich Nützlichkeit und employability, also die Fähigkeit des Absolventen, den Anforderungen der Wirtschaft zu genügen. Diese setzt Fähigkeiten wie Mathematik und Deutsch voraus, die man heute leider kaum noch von Schulabgängern erwarten kann, so daß die Betriebe oft nachholen müssen was staatliche Schulen nicht mehr leisten. Hier aber kann ein Vergleich zwischen den Universitäten und den Industrie- und Handelskammern zu überraschenden Ergebnissen kommen.

Will wenn man den gegenwärtigen Zustand der Unbildung nämlich als politisch gewolltes und faktisch erreichtes gesellschaftliches Ziel akzeptieren, so bleibt nur noch die Nützlichkeit von Wissen als Vergleichsmaßstab. Dort aber haben die unabhängigen und von politisch-ideologischer Beeinflussung noch vergleichsweise freien Industrie- und Handelskammern einen großen Wettbewerbsvorteil vor den Universitäten, die nämlich schon immer Ziel politischer Manipulationen waren.

Ganz im Gegensatz zum allgemeinen Trend zur Schmalspurbildung haben die Industrie- und Handelskammern nämlich mindestens die Lehrgänge "Geprüfter Technischer Betriebswirt" und "Geprüfter Betriebswirt" mit den neuen Prüfungsverordnungen verschärft. Und sie führen, anders als die Universitäten, einen Fortbildungsgang mit in sich geschlossenem Gesamtkonzept statt punktueller Streuveranstaltungen durch. Dozenten und IHK-Mitarbeiter betreuten, zumindestens bei ordentlicher Organisation, ihre Teilnehmer durchgängig vom Anfang bis zum Abschluß. Und, was der größte Vorteil ist: die IHK-Lehrgänge richten sich an Leute, die schon Berufspraxis gesammelt haben, die also selbst ohne Bildung im Humboldt'schen Sinne immerhin wissen, was die Wirtschaft braucht. Das mag zwar nicht mehr die Bildung sein, die der olle Willi einst forderte, aber es ist immerhin Bildung.

Während Europa auf universitärem Niveau also immer mehr potemkinsche Dörfer baut, bieten die Industrie- und Handelskammern immerhin noch einen an den betrieblichen Anforderungen orientiertes Bildungskonzept. Das löst nicht die Bildungsmisere, nützt oft den persönlichen Karrierezielen der Fortbildungsteilnehmer. Der Wert des IHK-Zertifikats ist daher meines Erachtens größer als der manches Universitätsdiploms. Es ist nur zu hoffen, daß das auch die Personalverantwortlichen in den Betrieben einsehen.

Links zum Thema: Lehrbetrieb: warum Kurssysteme in der Erwachsenenbildung nicht funktionieren | Der frühe Gockel, oder was ein »Technischer Betriebswirt« wert ist | Die Betriebswirtschaft als Wissenschaft oder vom Hochmut der Professoren | Die brüllende Heizung, oder von der Geringschätzung der Bildung (interne Links)

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