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IHK-Fortbildungen: die Betriebswirte-Lehrgänge im Niedergang?

Die IHK Erfurt gehört zu den größeren Industrie- und Handelskammern der Republik. Nach dem Umzug in die Arnstädter Straße genau gegenüber der Landesregierung Thüringen und dem Neubau eines Bildungszentrums können alleine am Hauptsitz der Kammer acht Lehrgänge gleichzeitig stattfinden, und bei diversen Kooperationspartnern bestehen umfangreiche weitere Kapazitäten – gute Voraussetzungen für Teilnehmer und Dozenten.

So waren die Lehrgänge "Betriebswirt/IHK" bzw. nunmehr seit der neuen Prüfungsordnung "Geprüfter Betriebswirt" immer gut besucht. Der letzte diesbezügliche Lehrgang, der im Herbst 2006 begonnen hat, begann indes nur mit zehn Teilnehmern, die inzwischen auf einen harten Kern von fünf oder sechs Leuten zusammengeschmolzen sind – ein offensichtliches Minusgeschäft. Seither wurden zwei neue Lehrgänge angeboten, und kamen beide aus Mangel an Teilnehmern nicht zustande.

Ähnlich ist es bei den Geprüften Technischen Betriebswirten. Auch hier fing der letzte Fortbildungslehrgang in Erfurt (und zugleich der erste nach neuer Verordnung) im September 2006 statt, ebenfalls im Vergleich zu früheren Veranstaltungen schwach besetzt. Und auch hier sind seither in 2007 und 2008 mehrere Lehrgänge geplatzt, zuletzt letzte Woche: mit nur sieben Teilnehmern wurde die Veranstaltung abgesagt. Und ob es beim nächsten Versuch diesen Herbst was wird, ist angesichts der bisherigen Erfahrung mindestens zweifelhaft. Befinden sich die Betriebswirte-Fortbildungen der Industrie- und Handelskammern generell im Niedergang?

Zwar sind die Erfahrungen hier in Erfurt eine möglicherweise nicht repräsentative Stichprobe, aber auffällig sind sie allemal. Der Leser mag sie mit seinem eigenen Bereich vergleichen und überlegen, ob es wirklich einen Rückgang von Lehrgangsveranstaltungen und Teilnehmerzahlen gibt. Ich würde den Industrie- und Handelskammern, die ja letztlich Veranstalter dieser Fortbildungen sind, aber drei Ratschläge geben, die hier im BWL-Boten (Themenverzeichnis) immer wieder gegeben worden sind:

Marketing ist nicht alles, aber ohne Marketing ist alles nichts. Wenn die Personalverantwortlichen die IHK-Lehrgänge meist nichtmal kennen, muß die Kammer dringend Marketinganstrengungen unternehmen, wenn sie diese Fortbildungen weiter anbieten will. Die Kammern müssen sich von ihren bisherigen behördenähnlichen Verhaltensmustern lösen und über das Prinzip des unternehmerischen Handelns nachdenken, insbesondere da diese Lehrgänge ja nicht beitragsfinanziert sind sondern die Teilnehmer (oder die hinter ihnen stehenden Betriebe) mehrere Tausend Euro pro Person kosten. Die geben sie aber nicht aus für etwas, was nichts zu taugen scheint – zumal, ein krasser Fehler, den Teilnehmern jedenfalls hier der Rahmenstoffplan nicht mehr ausgehändigt wird. Sie müssen ihn sich schwarz besorgen: wer aber kauft die Katze im Sack?

Kein Alleinstellungsmerkmal: Schon in 2006 spekulierten wir, ob die damals eingeführten neuen Prüfungsordnungen ein Alleinstellungsmerkmal durch schwierigere Prüfungen definieren sollen. Während wir im Prinzip begrüßen, daß die IHK-Lehrgänge höher angebunden erscheinen, scheint man es doch mit einigen Prüfungsanforderungen übertrieben zu haben. Durchfallerquoten bis zu 100% (d.h., niemand besteht die Prüfung) machen die Kammerlehrgänge unattraktiv. Ein anderer Weg der besseren Plazierung im Bildungsmarkt muß gefunden werden. Kooperationen mit Universitäten udn Fachhochschulen sind möglich, aber nicht unbedingt ein optimaler Weg, denn manches kann die Kammer besser als eine akademische Institution. Was aber hindert die Kämmerlinge, sich auf ihre unbestreitbar vorhandenen Stärken zu besinnen?

Qualitätsmanagement bei den IHK-Materialien: vielfach haben wir gravierende Mängel in den IHK-Textbänden dargestellt (Beispiel). Auch in Prüfungen gibt es immer wieder zum Teil elementare Fehler (Beispiel), die zum Teil auch noch dauernd wiederholt werden (wie zum Beispiel dieser Unsinn). Man kann aber nicht Prüfungen immer schwerer machen und zugleich grundlegende Mängel tolerieren. Das paßt einfach nicht zusammen. Anstatt alles in die neue Schlechtschreibung zu übersetzen wäre es anzuraten, lehrmaterialien udn Prüfungsaufgaben von unabhängigen Gremien inhaltlich korrigieren zu lassen. Oder einfach etwas mehr den BWL-Boten zu lesen...

Und ein böser Verdacht: Schließlich bestehen Indizien dafür, daß die Rahmenstoffpläne nicht von fachkundigen Autoren, sondern von politisch-ideologischen Motiven bestimmt werden. Sollte dies wahr sein, so würde es die IHK-Fortbildungen generell in Frage stellen, weil die Neutralität der Industrie- und Handelskammern damit in Zweifel gezogen wäre. Wesentliche Indizien hierfür sind die einseitige Kapitalmarktorientierung des Betriebswirte-Rahmenstoffplanes und §1 Abs. 2 der zugrundeliegenden Verordnung. Dort heißt es, der Betriebswirt solle "auf der Basis eines an Werten orientierten, strategisch ausgerichteten Verständnisses" seine Aufgaben mit Fach-, Methoden- und Sozialkompetenz wahrnehmen können. Anscheinend steigt hier die auf H. Nicklisch ("Die Betriebswirtschaft", Stuttgart 1932) basierende wertende Betriebswirtschaft wieder aus der Versenkung empor. Die längst von der schmalenbach'schen wertfreien Schule verdrängt geglaubte wertende Betriebswirtschaft versucht, den Betrieb als "Synthese von Bewußtseinsprozessen und Naturvorgängen" aufzufassen, will also den Betriebswirt durch Ziel- und Zwecksetzung umerziehen. Es wundert nicht, daß Nicklisch der unter den Nazis bevorzugte Ansatz war – und es unter den Ökologisten heute wieder ist. Unterstellt man dem Verordnungsgeber grundlegende Kenntnisse in der Geschichte der Betriebswirtschaft, so muß dieser Ansatz als höchst bedenklich gelten.

Eine grundlegende Sanierung der Betriebswirte-Fortbildungen ist für deren Überleben dringend erforderlich. Will die Kammer ihren bisher guten Ruf als neutrale Instanz wahren, und will sie – was meines Erachtens völlig legitim ist – mit diesen Lehrgängen auch ein Geschäft machen, so muß sie sich grundsätzlich neu aufstellen. Teilnehmerschwund und astronomisch hohe Fluktuationszahlen sind ein deutliches Indiz für den derzeit stattfindenden Absturz. Das aber dient niemandem, weder der Kammer selbst noch ihren Absolventen, die sich "Betriebswirt" nennen aber keine einzige Lageroptimierung gesehen haben, Andler, Groff und WWA nicht kennen aber wissen sollen, was der Unterschied zwischen Aktienanleihe und Wandelschuldverschreibung ist. Ganz nebenbei verlieren die Kammern auch ihre Dozententeams, denn um Leute auf diese Prüfungen vorzubereiten, muß man als Dozent den Stoffplan bis zur Interpunktion hinunter kennen und die alten Prüfungen zehn Jahre zurück möglichst auswendig wissen – eine Voraussetzung, die kaum ein Kollege mitbringt. Wenn man es also nicht schnell auf die Reihe bringt, ist die Sache möglicherweise schon von der Seite her gestorben.

Links zum Thema: Industrie- und Handelskammer: Marketing ist nicht alles... | Eine neue Alleinstellungsstrategie bei den IHK-Prüfungen? | Der olle Willi, oder was die IHK besser kann als eine Universität | Die Schwächen der IHK-Textbände: ein Beispiel | Fehler in IHK-Prüfungen: »gegenwärtig rechnet man...«, oder der Knaller mit der Mindestrentabilität | Fehler in IHK-Prüfungen: Die »Idealquote« | Geprüfter Betriebswirt: die Fallen der Finanzwirtschaft oder die notwendige Reform der Reform (interne Links)


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