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Strompreise: die große Schatzhebung zum 1. Juli

Zum ersten Juli des Jahres haben viele Energieversorger Strompreiserhöhungen angekündigt, in einzelnen Fällen um heftige 30%. Offiziell wird dies mit gestiegenen Einkaufspreisen begründet, was wohl Einrichtungen wie "Strombörsen" und teure Windstrom-Experimente meint, tatsächlich aber dürfte eine völlig fehlgeschlagene Marktregulierung nicht ganz unschuldig sein. Die Politik, die von der Misere seit wenigstens zwei Jahren weiß, tut wie immer nichts.

Dabei wagen die Energieversorger nichtmal mehr, die teilweise Schuld des Emissionshandels zuzugeben, denn dieser war für die Kraftwerksbetreiber eher ein Segen als ein Fluch, verkauften die Anlagenbetreiber doch alle ihnen in der ersten Kyoto-Planperiode zugeteilten Betriebsrechte gleich in den ersten Tagen des Jahres 2005, um in den kommenden Wochen kostenintensiv Emissionsrechte "nachzukaufen" - auf Kosten der zahlenden Kundschaft. Kein Wunder, denn der Emissionshandel ist nicht nur sinnlos, sondern auch kein echter Markt. Doch diesmal liegen die Dinge anders: jetzt ist anscheinend eine vollkommen mißratene Marktliberalisierung der Grund für die saftigen Preiserhöhungen.

So mußten die Energieversorger bisher aufgrund der "Bundesverordnung Elektrizität" ihre Preise staatlich genehmigen lassen, d.h. standen unter dem Diktat der Preisaufsicht. Die aber orientierte sich am Prinzip der Nettosubstanzerhaltung: Preiserhöhungen werden nur soweit genehmigt, wie sie zur Erhaltung der Leistungsfähigkeit des Versorgers notwendig sind. Diese seit Jahren bestehende Verordnung läuft am 30. Juni aus. Danach können die Versorger nach Belieben ihre eigenen Preise machen. Und das tun sie.

Zunächst wundert, daß in der deutschen Planwirtschaft überhaupt eine Preisregulierung abgeschafft wird - wo doch vom öffentlichen Nahverkehr bis zu medizinischen Leistungen überall Staatspreise bestehen. Kein Wunder also, daß der Staat sich mit unternehmerischer Preispolitik und marktwirtschaftlichen Mechanismen nicht auskennt und solche Fehler macht wie jetzt: so weiß jeder Erstsemesterstudent, daß der Markt nur mit Wettbewerb funktioniert, aber der deutsche Strommarkt ist ein typisches Oligopol. Wie dort die Preisbildung funktioniert, weiß jeder Autofahrer. Die Stromverbraucher lernen es jetzt bald kennen.

Dabei ist versucht worden, eine Pseudo-Marktwirtschaft einzuführen: schon seit Juli 2005 gelten die Regelungen zum "Unbundling", also zur gesellschaftsrechtlichen und funktionellen Entflechtung der Bereiche "Erzeugung", "Handel" und "Vertrieb". Die Zahl der dahintersteckenden Betreiber hat sich dadurch aber nicht erhöht, so daß ein Markt nicht entstehen kann. Auch die Durchleitungsgesetzgebung ist ein Witz: ich kann mir zwar einen Stromversorger von irgendwo suchen, aber der legt nicht von irgendwo ein Kabel zu mir, sondern leitet seinen Strom "durch" - was natürlich eine Fiktion ist, denn in Wirklichkeit rechnet er nur erst mit meinen Stadtwerken ab und dann mit mir. Kein Wunder, daß "Versorgerwechsel" reine Augenwischerei sind und keine Kostenentlastung bringen. Ebenso sinnlos sind Widersprüche und Kündigungen: polypolistische Nachfrager können sich auf oligopolistischen Märkten nicht durchsetzen, auch nicht mit eingeschriebenen Briefen. Nichtmal mit Klageschriften. Man hätte nicht "unbundeln", sondern zerschlagen sollen, doch dazu hatte man nicht den Mut, oder zu viel Schmiergelder bekommen.

Jetzt auf den guten Willen der Versorger oder alternativ das Funktionieren des Scheinmarktes zu vertrauen, zeugt entweder von grenzenloser Blauäugigkeit oder großer Böswilligkeit, wobei der BWL-Bote eher zu letzterem tendiert, denn Politiker mögen ideologische Scheuklappen haben, dumm sind sie aber nicht. Schon gar nicht, wenn mit zahlungskräftigen Argumenten seitens interessierter Verbandsorganisationen nachgeholfen wird, was gerade in diesem Fall sicher nicht unmöglich ist. Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß das Auslaufen der Elektrizitätsverordnung noch von Rot-Grün beschlossen, von Rot-Schwarz aber nicht gestoppt wurde, ein Kurzschluß des Systems: Rot-Schwarz, Rot-Grün, das ist Jacke wie Hose. Zahlen müssen wir immer.

Wir plädieren hier wie immer für die Marktwirtschaft, die aber auch richtig: niemand sollte mehr als eine bestimmte maximale Erzeugungskapazität besitzen dürfen, niemand mehr als ein paar Kilometer Leitungsnetz - und alle müssen voneinander entflochten sein, mit Related Party Disclosure nach IAS 24 oder IPSAS 20 und ständiger Drohung der Zerschlagung von Marktkonzentrationen. In diesem Land gibt es ein Kartellrecht, aber das muß man auch anwenden. Anscheinend geschieht dies aber nicht. Preisregulierung ist sicher die schlechteste Lösung, aber immerhin eine Lösung. Eine vorübergehende hoffentlich, aber so lange bis die Versorgungsmärkte echte Polypole sind das kleinste Übel. Und auf die Polypolisierung dürfen wir wohl noch bis in die Steinzeit warten.

Die Marktwirtschaft ist in Deutschland schon immer ein Trauerspiel gewesen, im bekanntlich überteuerten und überreglementierten Gesundheitswesen ebenso wie im nicht minder überteuerten aber völlig unterreglementierten Energiemarkt. Doch der Markt funktioniert nur ganz oder gar nicht, aber niemals halb. Wer das bei den Zwangsversicherungen nicht lernen wollte, kann es jetzt bei den Stromversorgern nachholen. Solange wir aber weiterhin nur mir Regierungswechseln rechnen, und nicht mit Regimewechseln, wird es wohl beim derzeitigen Zustand bleiben, daß Politik und Pseudo-Markt sich die Aufgaben teilen, die Leute dumm und arm zu halten. Beides aber hat hier bisher nichtschlecht funktioniert, wo der Aufschwung mit der Bahn kommt...

Ach ja, der nächste Strom-Schlag kommt nach Weihnachten: Für den zweiten Kyoto-Fünfjahresplan wurden die Energiezuteilungen nämlich um 14% gekürzt. Will man mit der jetzigen Scheinliberalisierung sicherstellen, daß die Versorger das auch voll mitnehmen können?

Links zum Thema: Wie die Windenergie Arbeitsplätze und Rohstoffe vernichtet | Kyoto-Protokoll: Ist der Emissionshandel wirklich ein Marktinstrument? | Zweiter Kyoto-Fünfjahresplan: Energiezuteilungen um 14% gekürzt (interne Links)

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