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Lagerdauer und Lagerumschlagshäufigkeit: | |
Materialwirtschaft und Disposition gehören zu den Lehrfächern in Ausbildungsgängen wie "Industriekaufmann" oder "Kaufmann für Bürokommunikation". Eine Zahl von Lehrbüchern wie beispielsweise die aus dem Europa-Verlag sind auf diese Klientel spezialisiert. Doch sollten Auszubildende und Ausbilder nicht alles glauben, was sie in ihren Lehrwerken finden, denn diese enthalten, wie es scheint durchgängig, einen gravierenden Fehler bei der Formel für die Berechnung der Lagerumschlagshäufigkeit und der Lagerdauer. Schauen wir uns den mal etwas näher an, Überraschung garantiert: Manche Fehler findet man besser, wenn man die Ausganzszahlen übertreibt. Das tun wir jetzt mal. Wir nehmen an, ein Einkäufer habe einen sehr unzuverlässigen Lieferanten, und ständig Schneechaos in der Versorgungskette. Um Produktionsfähig zu bleiben, und um hohe Konventionalstrafen des einzigen industriellen Großabnehmers zu vermeiden, wird der Eiserne Bestand hochgeschraubt. Wir nehmen also an, daß das Lager nur einen Höchstbestand (HB) von 100 Stück fasse, der Eiserne Bestand (EB) aber 80 Stück betrage. Die Bestellmenge (M) kann also nur 20 Stück betragen. Die Grafik offenbart, daß der Durchschnittsbestand ØBest = 90 Stück betragen muß: Die verschiedenen Lehrbücher, und meine diversen Schriftwerke zu diesem Thema, schlagen unterschiedliche Berechnungsmethoden für den mittleren Lagerbestand vor, die aber jeweils zum gleichen Ergebnis von offensichtlich 90 Stück gelangen. Insofern besteht keine Uneinigkeit, aber der Zahlenwert wird später wichtig sein: Man mag hier zutreffend einwenden, daß die auf EB und M beruhende Berechnungsmethode theoretisch und realitätsfern sei. In der Tat ist dies ein typisches "Lehrbuchverfahren". Natürlich ist es viel besser, den Durchschnittsbestand aufgrund täglicher Bestandsmessungen zu erheben. Dies freilich hat nichts mit unserem Problem zu tun. Dieses begegnet dem Lagerverantwortlichen ganz gleich, welche Methode der Durchschnittsbestandermittlung er verwendet. Bleibt aber eine Lieferung aus, beispielsweise weil der Lieferant sich nicht durch die Scheemassen kämpfen kann, so würde der Maximalbestand i.H.v. HB = 100 genau zehn Tage reichen, wenn wir pro Tag 10 Stück verbrauchen. Dies kann man gut mit einer Skizze verdeutlichen: Die Zeichnung offenbart also, daß die maximale Lagerdauer zehn Tage betragen muß - und das ist, was wir mit allen zur Verfügung stehenden Berechnungsmethoden erreichen müssen. Wer da nicht ankommt, der rechnet falsch. Natürlich offenbart die Skizze auch, daß die durchschnittliche Lagerdauer ØLD = 5 Tage sein muß, wenn wir nach §240 Abs. 4 HGB oder nach IAS 2.25 die Durchschnittsbewertung betreiben: in diesem Falle nämlich kann jedes Teil zu jeder Zeit aus dem Lager entnommen werden. Die statistische Wahrscheinlichkeit eines jeden Lagerobjektes, an einem bestimmten Tag aus dem Lager entführt zu werden, ist also stets gleich - oder nach der halben maximalen Lagerdauer ist noch die Hälfte des Materiales am Lager. Es gilt also ØLD = 5 Tage. So weit, so gut. Wie aber können wir das analytisch bestimmen? Hierzu nehmen wir zunächst noch aus Vereinfachungsgründen an, daß wir an genau 360 Tagen pro Jahr arbeiten. Der Jahresverbrauch V beträgt also V = 360 x 10 = 3.600 Stück (und wir müssen uns nicht mit dem Unterschied zwischen Arbeits- und Kalendertagen herumschlagen, was die Sache viel unübersichtlicher machen würde). Die Berechnung der Lagerumschlagshäufigkeit LU ist dann zunächst: Hieraus aber können wir die durchschnittliche Lagerdauer in Tagen bestimmen, wobei wir im Hinterkopf behalten, daß wir zwischen Arbeits- und Kalendertagen keinen Unterschied machen müssen: Offensichtlich kommen wir hier auf die aus der Skizze vorhergesagten zehn Tage maximale Lagerdauer: Dies ist die Methode, die ich seit vielen Jahren unterrichte - und in den Betrieben anwende. Leider findet man aber in zahlreichen Lehrbüchern noch immer die offensichtlich falsche Berechnungsmethode, für die Lagerumschlagshäufigkeit den Jahresverbrauch V durch den durchschnittlichen Lagerbestand zu teilen. Was daran so richtig falsch ist, offenbart die Rechnung: Dividieren wir jetzt nämlich, wie das mit vorliegende Leerbuch behauptet die 360 Tage pro Jahr durch die so berechnete Lagerumschlagshäufigkeit, so kommen wir zu einem kraß danebenliegenden Ergebnis: Wenn wir aber nach der (ganz offensichtlich falschen) "Schulmethode" schon eine durchschnittliche Lagerdauer von neun Tagen errechnen, müßte die maximale Lagerdauer ja 18 Tage sein: Das aber kann, wie der Skizze ganz offensichtlich zu entnehmen ist, nicht zutreffen. Die in den Ausbildungen gelehrte Methode ist also offenbar falsch. Man mag einwenden, daß ein Eiserner Bestand von 80% des Höchstbestandes in der industriellen Realität doch eher selten anzutreffen sei - was zweifellos zutrifft, aber bei einem geringeren Eisernen Bestand verringert sich der Fehler nur. Verschwinden wird er aber nur, wenn gar kein eiserner Bestand mehr geführt wird - was ebenfalls nicht unbedingt realistisch ist, denn Eiserne- oder Mindestbestände dienen zur Sicherung der Liefer- oder Produktionsfähigkeit. Sobald aber nur irgendein Eiserner Bestand vorliegt, rechnet die hier präsentierte "Schulmethode" falsch. Das, liebe Leerbuchautoren, solltet ihr mal überdenken. Der Lagerverwalter, der sich auf sein Ausbildungswissen verläßt, wäre hier also arg verlassen - und würde für einen so heftigen Fehler gewiß verantwortlich gemacht werden. Und auch in IHK-Prüfungen wurde dieses Problem schon gesichtet, denn die Aufgabenlyriker der Kämmerlinge orientieren sich an Lehrbüchern, die im Markt kursieren. So gelangen offenbare Fehler auch in die Musterlösungen zu den Prüfungsaufgaben. Was aber tut man, wenn man einem Prüfer begegnet, der es selbst nicht besser weiß? In meiner Formelsammlung der BWL ist es allerdings richtig dargestellt; ebenso in meinem Skript zur Disposition und meinem Handbuch der Material- und Lagerwirtschaft.
Links zum Thema: Formelsammlung der BWL | Skript zur Disposition | Skript zur Bestellmengenrechnung (interne Links) Literatur: Zingel, Harry, "Handbuch der Material- und Lagerwirtschaft", Heppenheim 2005, ISBN 3-937473-07-6, Amazon.de | BOL | Buch.de. Auf der BWL-CD ohne Mehrkosten enthalten. Hinweise auf relevante Inhalte der BWL CD: [Lexikon]: "Disposition", "Lagerdauer, durchschnittliche", "Lagerdauer, maximale", "Lagerumschlag". [Manuskripte]: "Bestellmenge.pdf", "Disposition.pdf". [Excel]: "Lager Kennziffern Visualisierung.xls", "Lager Kennziffern.xls", "Lagerkosten Rabatt.xls". |
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Im Gedenken an Harry Zingel, ✟ 12. August 2009
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