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Geprüfter Technischer Betriebswirt:
Beispiel für eine mit »ungenügend« bewertete Projektarbeit

Die Autoren von Projektarbeiten bei den Industrie- und Handelskammern plagen sich oft mit ihrer Aufgabe, ein betriebliches Problem betriebswirtschaftlich aufzubereiten. Bestimmte Fehler wären aber leicht vermeidbar, besonders da sie so oft gemacht werden. Nachfolgend betrachten wir ein Beispiel für eine mit »ungenügend« beurteilte Projektarbeit. Die Publikation ist mit dem Urheber der Arbeit abgesprochen. Ein identifizierendes Detail wurde unkenntlich gemacht, um die Identität des Autoren zu schützen.

Solche Arbeiten werden in der Regel nach drei Kriterienkategorien beurteilt: nach inhaltlichen, formalen und technischen Gesichtspunkten. Leider haben die industrie- und Handelskammern kein einheitliches Bewertungsschema. Daß sie unseren diesbezüglichen Vorschlag ignoriert haben, war natürlich zu erwarten. Dennoch kann man anhand dieser drei Kategorien von Kriterien demonstrieren, was hier schiefgegangen ist.

Inhaltliche Kriterien

Note »ungenügend«:
Inhaltsverzeichnis der Arbeit
Inhaltverzeichnis der Arbeit
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Gegenstand der als Word-Datei vorliegenden Arbeit war eine Investitionsentscheidung für ein Unternehmen der Getränkebranche. Der Arbeitgeber des Autoren plant, eine innovative Abfüllanlage für Bier und Biermixgetränke anzuschaffen, mit der eine bestehende Technik ersetzt werden soll. Nebenstehend ist das Inhaltsverzeichnis der durchgefallenen Arbeit abgebildet. Es glänzt durch eine Vielzahl von inhaltlichen Schwächen.

Das Inhaltsverzeichnis sieht auf den ersten Blick folgerichtig aus: auf eine Einleitung folgt zunächst ein technischer Teil und dann kommen die wirtschaftlichen Auswertungen. Der Teufel steckt hier jedoch wie so oft im Detail – oder besser in dem, was wir nicht sehen: so fehlt ein theoretischer Teil völlig. Der Autor steigt sogleich in die Kostenvergleichsrechnung ein, ohne sich zuvor mit der betrieblichen Datenlage auseinanderzusetzen. Daß aber die Kosten von den Aufwendungen, Ausgaben und Auszahlungen sorgfältig zu differenzieren sind, wird ignoriert. Das wird gleich in der Kapitelüberschrift "3.1.1 Betrachtung der Ausgaben" offensichtlich: in der Kostenvergleichsrechnung geht es um Kosten, und in dynamischen Rechenverfahren um Auszahlungen, niemals aber um Ausgaben. Der feine aber wichtige Unterschied ist dem Autoren der Arbeit ganz offensichtlich nicht geläufig. Er geht mit großer Naivität an die Sache heran, und verwendet umgangssprachliche Begriffe anstatt der notwendigen Fachterminologie.

Ein weiteres Problem liegt in der Gewichtung: der Geprüfte Technische Betriebswirt (IHK) ist ein Techniker und wird durch die Fortbildung zu einem Betriebswirt. Das soll mit der Projektarbeit unter Beweis gestellt werden. Hier ist der Anteil der technischen Elemente jedoch viel zu groß: von 34 Seiten werden auf mehr als der Hälfte technische Einzelheiten dargestellt. Das geht weit über das notwendige Maß hinaus.

Auch unabhängig davon bestehen Elemente, die in der Luft hängen. Der Autor konnte nicht eindeutig klarstellen, wozu die Unternehmensgeschichte (in Kapitel 1.2) dargestellt wurde. Dieses Element der Arbeit ist daher überflüssig.

Daß mit der Investition auch die Übernahme von Aufträgen anderer Unternehmen ermöglicht werden soll, vom Investor also eine Wertkettenstrategie angestrebt wird, hätte indes viel eindeutiger dargestellt werden müssen. Kapitel 1.4 und 1.5 enthalten die grundlegenden Konzepte, aber der Gedanke wird später nicht mehr aufgegriffen. Er hängt also auch in der Luft. Die strategischen Komponenten des Themas werden daher ignoriert – obwohl sie hier besonders wichtiger sind.

Hauptproblem ist aber der offensichtliche Versuch, alle Methoden irgendwie in den verfügbaren Raum zu quetschen. Niemand kann eine Kostenvergleichsrechnung auf zwei Seiten oder eine Nutzwertanalyse auf einer einzigen (!) Seite darstellen, nichtmal in Achtpunktschrift: hier wird offensichtlich äußerst oberflächlich gearbeitet. Eine solche Arbeit ist aber wertlos. Weniger ist oft mehr: es sollten weniger Verfahren dargestellt werden, diese aber dafür in die Tiefe und mit einer gewissen Vollständigkeit. Das wurde hier gründlich verpaßt.

Formale und technische Probleme

Aber auch im Umgang mit der verwendeten Software (Microsoft® Word) macht der Autor eine Reihe von Fehlern, die zwar für sich keine ungenügende Benotung begründen, dazu aber beitragen. ich habe in Word alle nichtdruckenden Sonderzeichen dargestellt, um diese Fehler sichtbar zu machen:

  • Absatzabstände mit der Enter-Taste (anstatt mit der Absatzformatierung);
  • Seitenwechsel mit vielen Enter-Taste (anstatt mit einem Seitenwechsel), was die Arbeit beim Wechsel des Druckertreibers verhackstückt;
  • Einrücken mit der Leertaste (bei den Seitenzahlen und den Kapitelüberschriften, wirklich ein Anfängerfehler);
  • Zentrierung von Text mit der Tabulatortaste (bei der Überschrift) anstatt ebenfalls mit der Absatzformatierung;
  • Ungesetzte Tabulatoren (hinter jeder Kapitelüberschrift) und
  • Nichtverwendung der Formatvorlagen für Überschriften (stattdessen doppelte Eingabe, so daß es sogar zu Unterschieden zwischen dem Überschriftentext im Inhaltsverzeichnis und über den einzelnen Kapiteln kommt).

Zudem wird kein Corporate Identity Gestaltungsschema umgesetzt. Logo, Hausfarben und Hausschriften des betrachteten Unternehmens werden völlig ignoriert. Das mag für eine fachwissenschaftliche Arbeit angemessen sein, aber hier haben wir eine Praxisarbeit vor uns: die soll nicht nur über ein bestimmtes unternehmerisches Problem geschrieben werden, sondern auch so aussehen wie das betrachtete Unternehmen.

Solche gravierenden technischen Fehler deuten auf eine große digitale Inkompetenz, die zwar zeittypisch, aber eben doch nicht angemessen ist: der Betriebswirt ist eine Führungskraft, und führen heißt kommunizieren. Das geschieht heute aber eher mit technischen Mitteln, denn das Klavier des Betriebswirtes ist das mit den 105 Tasten. Wer mit dem Computer nicht umgehen kann, hat einen gravierenden Wettbewerbsnachteil. Aus- und Fortbildungen müssen vielfach noch digitale Alphabetisierungsarbeit leisten. Daß sie das noch immer nicht tun, ist ein massives bildungspolitisches Problem, dessen Auswirkung wir hier besichtigen können.

Auch ein Problem der Kämmerlinge

Während diese Fehler zwar dazu führten, daß der Teilnehmer durch die Prüfung gefallen ist, sind doch die Kämmerlinge nicht unbeteiligt: im Gegensatz zu Universitäten, Fachhochschulen und Bildungsfirmen bieten sie nämlich, von Ausnahmen abgesehen, keinerlei Unterstützung beim Verfassen solcher Arbeiten. Der Autor hatte keinen Betreuer. Er konnte niemanden fragen. Er wurde, in einem Wort, im Stich gelassen. Es wundert mich daher nicht, daß er über das Ergebnis verärgert ist. Daß indes die Industrie- und Handelskammern über ihre Qualität nachdenken (und entsprechend handeln) glaube ich erst, wenn ich es sehe: in Prüfungsaufgaben machen sie seit vielen Jahren immer dieselben Fehler, und mit allen möglichen unseriösen Geschäftemachern wird munter kooperiert. Der DIHK ist informiert und ignoriert Beschwerden mit der bekannten Arroganz der Macht. Kein Wunder, daß die Teilnehmer sich bisweilen schlecht behandelt ("verarscht") fühlen.

Links zum Thema: Bewertung von Studien-, Projekt- und Diplomarbeiten: Vorschlag für ein allgemeines Bewertungsschema | Gravierende Schwächen in Studien- und Diplomarbeiten: wie man es nicht machen sollte | Klick-klick oder die Didaktik des Dateisystems | Industrie- und Handelskammern: wenig Betreuung bei Studien- und Projektarbeiten | »Auffällig geworden«: wie der DIHK auf Beschwerden reagiert | Hinweise für Studien-, Projekt- und Diplomarbeit (interne Links)


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