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Kostenrechnung: Wie die Finanzmarktkrise die Selbstkosten senkt (oder auch nicht)

Die Finanzmarktkrise hat auch ihre guten Seiten, zum Beispiel bei den Rohstoffpreisen: so ist der Ölpreis in den letzten Monaten von einem historischen Höchstpreis im Bereich von 140 US$ pro Barrel auf jetzt gerade mal so um die 60 US-Dollar regelrecht abgestürzt. Leider merkt man davon recht wenig an der Zapfsäule. Ganz ähnlich ist es auch in anderen Bereichen der Kostenrechnung, zum Beispiel bei den kalkulatorischen Kosten. Auch die sinken gegenwärtig, doch tun sie das recht selektiv.

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So ist wohlbekannt, daß die kalkulatorische Zinsrechnung die Mindestrentabilität (Rmin) als Zinssatz voraussetzt. Deren Wert hängt im wesentlichen von zwei Größen ab:

 Kapitalmarkt-Guthabenzins (Opportunitätskostensatz der Kapitalanlage)
+Allgemeines Risiko der Unternehmenstätigkeit (Risiko, das alle Unternehmer gleichermaßen betrifft, i.d.R. Insolvenzquote)
=Mindestrentabilität (Rmin), d.h. Kalkulationszins in KLR und Investitionsrechnung

Die Guthabenverzinsung ist hierbei in der Regel die Hauptrefinanzierungsverzinsung der EZB, weil diese das niedrigste volkswirtschaftliche Risiko in der EU repräsentiert (ausschließlich das Sovereign ceiling risk). Das Insolvenzrisiko ist dagegen das einzige Risiko, das alle Unternehmer gleichermaßen betrifft. Es ist abhhängig von Branche und Größe der betrachteten Unternehmung, d.h. groß bei Kleinunternehmen und in Krisenbranchen und klein bei Großunternehmen und in Boom-Branchen. Und genau hier hat das Finanzmarktstabilisierungsgesetz die Dinge in Bewegung gebracht.

Mit dem Finanzmarktstabilisierungsfonds hat die Bundesregierung nunmehr nämlich den Banken, Finanzdienstleistern, Kapitalanlagegesellschaften, Versicherungen und Betreibern von Wertpapier- und Terminbörsen eine Defacto-Existenzgarantie gegeben. War das Insolvenzrisiko, und mit diesem das allgemeine Unternehmenswagnis dieser Geschäftsbereiche, bisher bisweilen eher unübersichtlich, so sinkt es jetzt gegen null. Was auch immer eine Bank für Fehler macht oder gemacht hat, sie hat jetzt einen goldenen Fallschirm – eine Symptomkur, denn die Ursachen der Finanzmarktkrise wurden nicht beseitigt.

Das aber wirkt sich auf die Zinskosten aus, die jetzt nämlich deutlich sinken müßten. Die erforderliche Risikorendite fällt durch die Staatsgarantie, und mir ihr fallen die Selbstkosten. Leider ist auch davon bisher nichts bei den nach wie vor bisweilen happigen Gebühren der Banken zu spüren. Niedrigere Kosten bei gleichen Preisen führen aber zu höheren Gewinnen. So profitieren die Banken von der Finanzmarktkrise, jedenfalls aus kostenrechnerischer Sicht.

Leider trifft das nicht auf alle Unternehmungen gleichermaßen zu. Obwohl die (vorübergehende) Abschaffung der Pflicht zur Vermögensbewertung bei Überschuldung i.S.d. §19 Abs. 2 InsO zwar theoretisch auch Nichtbanken erfaßt und daher über den Bereich des Kreditwesenrechts hinausstrahlt, steigt das Unternehmensrisiko in den Unternehmen der Realwirtschaft doch derzeit eher scharf an – denn sie leiden unter der stotternden Kreditversorgung und der sich abschwächenden Nachfrage. Das erhöht das Insolvenzrisiko in praktisch allen Branchen außer dem Kreditgewerbe. Es steigert die Selbstkosten und senkt die Gewinne: die Finanzmarktkrise ist längst zu einer ausgewachsenen Weltwirtschaftskrise geworden.

Eine ganz andere Debatte wäre übrigens zu prüfen, inwieweit die EZB-Hauptrefinanzierungsverzinsung überhaupt noch das Sovereign ceiling risk des europäischen Wirtschaftsraumes darstellt. Da die üblichen Lehrbuchtheorien versagt haben bzw. in der gegenwärtigen Krise unanwendbar sind könnte es sein, daß das zugrundeliegende volkswirtschaftliche Systemrisiko längst viel größer ist als der EZB-Zins: die versteckten Risiken, die die Banken über Special Purpose Vehicles und ABS-Transaktionen aus den Bilanzen entfernt haben, kehren nun möglicherweise indirekt durch das Finanzmarktstabilisierungsgesetz auf gesamtwirtschaftlicher Ebene in die Rechnung zurück, sind aber vermutlich derzeit kaum zu beziffern.

Links zum Thema: Finanzmarktkrise: die geldpolitische Symptomkur | Das FMStG und die InsO: eine kleine aber interessante Änderung | Kostenrechnung: Die häufigsten Fehler bei der Berechnung der kalkulatorischen Zinskosten | Irrungen und Wirrungen der Kostenrechnung: warum Bankzinsen keine Kosten sind | Unausrottbare Fehler: zum Beispiel die kalkulatorischen Zinsen | Beliebte Kammerfehler: Die Nullrentabilität, oder wo die Kröten nicht springen | Unausrottbare Fehler: schon wieder die kalkulatorischen Zinsen | »Wagnis und Gewinn«: verbreitete Fehler und Irrtümer im Rechnungswesen | Kalkulatorische Zinsrechnung: warum man das Abzugskapital nicht abziehen sollte (interne Links) Gesetz zur Umsetzung eines Maßnahmenpakets zur Stabilisierung des Finanzmarktes (Finanzmarktstabilisierungsgesetz – FMStG) (externer Link)

Literatur: Zingel, Harry, "Kosten- und Leistungsrechnung", Weinheim 2008, ISBN 978-3-527-50388-9, Amazon.de | BOL | Buch.de. Auf der BWL-CD ohne Mehrkosten enthalten.

Hinweise auf relevante Inhalte der BWL CD: [Lexikon]: "Kalkulatorische Kosten", "Kalkulatorische Zinsen", "Kapitalbindung, durchschnittliche", "Kosten", "Zinskosten". [Manuskripte]: "Lehrbuch der KLR.pdf". [Manuskripte]: "Kalk Kosten.xls", "Maschinenrechnung.xls".
Diese Hinweise beziehen sich auf die zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Artikels aktuelle Version der BWL CD. Nicht alle Inhalte und nicht alle Stichworte sind in älteren Fassungen enthalten. Den tagesaktuellen Stand ersehen Sie aus dem Inhaltsverzeichnis oder dem thematischen Verzeichnis.


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