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Das Urheberrecht und seine wirklichen Leitbilder

Mit dem Digital Copyright Millennium Act (DCMA) von 1998 haben sich die USA auf einen Weg begeben, der einst von der Sowjetunion und ihren Satellitenstaaten beschritten wurde, und sich längst als fataler Irrweg erwiesen haben müßte: Gesetzlich sanktionierte Digital Rights Management Systeme (DRM) garantieren dem Rechteinhaber dort schon jetzt eine weitgehend totale Kontrolle über sein Werk und die Business Software Alliance (BSA) gebärdet sich wie ein Geheimdienst mit Spionageaktionen auf Firmenrechnern, Denunziationen und Verdachtsaktionen mit Kundendaten von BSA-Mitgliedern. Der Unterschied zum Sowjetsystem ist eigentlich nur, daß jetzt nicht mehr der Staat alles kontrolliert, sondern die Unternehmen dieses tun, dafür aber mit wesentlich moderneren und viel effizienteren Mitteln.

Unter dem Vorwand, dem Nutzer "einen hohen Grad an Sicherheit" und "mehr Wahlmöglichkeiten in den Bereichen Unterhaltung, Bildung und Kommunikation" zu bieten werden digitale Technologien etabliert, die tatsächlich dem Rechteinhaber eine Art digitales Hausrecht bis an die Bildschirmoberfläche des Zuschauers verschaffen und es ihm ermöglichen, Bezahlung für jede einzelne Vorführung des Werkes zu fordern, Nutzer willkürlich abzuschalten und die Verbreitung des Werkes digital zu kontrollieren. Kostenlose aber unkopierbare CDs aber eine Gebühr für jedes Anhören und drakonische Strafen für Kopierversuche? Wenn die Micropayment-Systeme endlich aus dem Knick kommen, wird das ruck-zuck Wirklichkeit...

Das hat natürlich auch Marktgründe. Seit Windows 95 hat es in der Windows-Welt nämlich keinen wirklich grundlegenden Fortschritt mehr gegeben, sondern nur noch graduelles Wachstum. Und da die Leistung der Hardwarekomponenten schneller wächst als die Anforderungen des Anwenders, war der Umstieg von einem 486-33 auf einen Pentium-90 zwar noch ein großer, fühlbarer Schritt für den Anwender, der die Nutzbarkeit seines Gerätes auf wesentlich mehr Bereiche ausdehnte, das Upgrade von 1200 auf 2400 MHz oder von einer 120er auf eine 200er Platte heute ist aber kaum noch ein so großer Schritt. Und auch im Softwarebereich hat sich seit 5 oder mehr Jahren nicht mehr viel getan: Adobe PageMaker sieht heute noch aus wie 1993, nur die schöne, bunte Kopfleiste von Windows XP ist neuer, und wer in Microsoft Office 97 Module in VisualBASIC schreiben konnte, muß nicht viel dazulernen, um dasselbe unter Office 2000 oder Office XP zu tun. Kein Wunder also, daß der PC-Absatz stockt. Aber wie kriegt man ihn wieder in Gang?

Ein mögliches Szenario ist, daß jetzt Windows-Versionen folgen, die "sicherheitsorientiert" sind, was wohl heißen soll, daß sie mit nichts kompatibel sein werden, was die Welt bisher kennt, denn anders kann man die vielen "Raubkopien" wohl nicht mehr aus dem Verkehr ziehen. Die gerüchteweise an die Öffentlichkeit dringenden Einzelheiten etwa über die neue Palladium-Technologie von Microsoft, die möglicherweise im Windows-Nachfolger Longhorn (oder doch erst in Blackcomb?) implementiert und später vielleicht sogar auf Prozessorebene eingebaut werden soll, will nur vordergründig Viren und Trojaner fernhalten: Sie dient genauso der Verhinderung "widerrechtlicher" Kopien von Software und Mediendateien. Das könnte also heißen, daß Sie Ihr Urlaubsvideo dieses Sommers in 2010 ihren Kindern nicht mehr zeigen können, weil es kein digitales Watermark besitzt. Schöne neue Welt!

Wer nicht glaubt, wohin die Reise offenbar gehen soll, sollte sich den folgenden Text gründlich durchlesen, der aus den Lizenzbedingungen zu einem Windows Media Player Update gehört, das Ende Juni von Microsoft herausgebracht worden ist: "Digital Rights Management (Security). You agree that in order to protect the integrity of content and software protected by digital rights management (Secure Content), Microsoft may provide security related updates to the OS Components that will be automatically downloaded onto your computer. These security related updates may disable your ability to copy and/or play Secure Content and use other software on your computer. If we provide such a security update, we will use reasonable efforts to post notices on a web site explaining the update". Und was sagt uns das? Microsoft genehmigt sich schon jetzt Admin-Rechte über die Rechner der Windows-User, um deren Medienkonsum einschränken zu können. Toll, nich?

Die Ursprünge des Urheberrechts reichen bis auf Gutenberg zurück. Dabei ging es aber zunächst nur um das Rechtsverhältnis zwischen Verleger und Autor, nicht zwischen diesem und dem Leser. Durch die Obrigkeiten ursprünglich nämlich wurden Veröffentlichungsrechte an Drucker und Verleger "verliehen", was dem mittelalterlichen Lehenssystem entspricht, und erst unter der Entstehung des Naturrechtsgedanken tendierte die Entwicklung seit dem 17. Jahrhundert weg von den obrigkeitlichen Verleihung hin zu ursprünglichen Autorenrechten. Erst mit Immanuel Kants Schrift "Von der Unrechtmäßigkeit des Büchernachdrucks" aus 1785 begann das "moderne" persönlichkeitsrechtliche Verständnis des Urheberrechts.

Dieses historisch gewachsene Verständnis wird jetzt überschritten, wenn durch neue digitale Techniken Autoren noch den privaten Gebrauch des Werkes durch den Leser oder Zuschauer regeln können. Das Urheberrecht verliert damit seine "Unschuld", es wandelt sich von einem Schutzrecht des Autoren zu einem totalitären Mittel der Gedankenkontrolle.

Und die EU ist im Begriff, diese Mittel zur Staatsdoktrin zu erheben. Die bereits im Referentenentwurf vorliegende Novelle des Urheberrechts, die die EU-Urheberrechtsrichtlinie umsetzt, läßt beispielsweise das Recht auf Privatkopie nach §53 UrhG zwar formal unangetastet, gewährt der Wirtschaft aber auch ein Recht auf digitalen Inhaltsschutz, was einer indirekten Abschaffung des §53 gleichkommt.

Hätten wir eine Bürgerrechtsgesellschaft, müßte ein Aufschrei durch die Nation gehen von Flensburg bis Berchtesgaden, von der Oder bis an den Rhein. Überall wird die Beschneidung persönlicher Rechte vorbereitet, aber keinen scheint das zu stören. Doch das wundert nicht: weder die Europäische Kommission noch der Europäische Rat sind demokratische Gremien, und in Deutschland ist ein Steineschmeißer Außenminister und ein (ehemaliger?) Kommunist Umweltminister. Und die Absicht, jeglichen Internetverkehr zu überwachen, hatte die Kommission schon vor dem 11. September (Hier ist der Beweis). Nur daß damals die Straftäter als Vorwand herhalten mußten; heute geht es mit den Terroristen viel leichter, sowas durchzusetzen. Kein Wunder also, daß die Leute sich von der Politik in ihre privaten Nischen zurückziehen. So war es übrigens auch schon in der DDR, wo verbotenes Material ebenfalls privat von Hand zu Hand ging. Und so ist es heute wieder, jedenfalls solange, wie Server in Rußland oder sonstwo jenseits der Reichweite westlicher Kontrollregelungen stehen. Und auch das Volk hat modernere Mittel als damals unter Erich: Kazaa, Grokster, eDonkey oder was für seltsame Namen sich die Tauschbörsen noch so zulegen.

So sind wir bald wieder, wo wir schon einmal waren: Zurück in die Zukunft, in der nach Jan Tinbergen ("Best of Both Worlds") eine Konvergenz aus sozialistischem und "kapitalistischen" System stattfinden werden. Oder, viel knapper: "Vorwärts immer, rückwärts nimmer" (Erich Honecker).

Aktuell zum Thema: DCMA Executive Summary | Bericht über die Praktiken der BSA auf heise.de | EU-Rat für die Speicherung aller Kommunikationsdaten (alles externe Links)


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